Mittwoch, 13. März 2013

2wei sind verschieden

Quelle: Google Earth
Bei mir um die Ecke gibt es einen Goetheplatz. Auf diesem Platz ist in der Mitte ein Rondell mit einem fetten Baum, einer alten Flügelnuß. Außenrum säumen Jugendstil-Villen die Szenerie, aber der Baum ist so fett und wuchtig dass er allein den Betrachter in seinen Bann zieht. Darunter steht eine Bank für Verliebte.











Dann habe ich die Tage gelesen, dass sie diesen Baum fällen müssen, aus Verkehrssicherungspflicht.
Immer fällen sie die ältesten Bäume, die schönsten, die eindrucksvollsten! Wobei, was ist mit dem Ginko in der Günterstalstraße bei der Ampel? Ok, steht wieder. Den Bäumen auf dem Parkplatz der Uniklinik, dem fetten Götterbaum im Industriegebiet? Mann könnte meinen die Stadt sucht Geld im Holzverkauf.
Jedenfall um den Baum am Goetheplatz war es wirklich schad'.
Ich wollte mich grad noch verabschieden, da bekomme ich eine schlechte Nachricht, dazu später.

Als ich am nächsten Tag zur Umfällstelle kam, war es dort viel heller als sonst.
Von dem Baum haben sie noch die untersten 10 Meter liegen lassen, Wow - man kann echt reinkriechen und Schlümpfe könnten hinten durch verschiedene Löcher wieder rausspringen. Selbst die Äste waren hohl!
Klare Sache. Es ist leicht einzusehen, warum dieser Baum gefällt werden musste. Sie werden sicherlich einen neuen hinpflanzen, die Struktur des Platzes verlangt es. Kein Thema. Ich hab da noch ein Elementarwesen, das jetzt blöd da saß, ohne seinen Baum, in einem Kristall gespeichert und werde es dann auf den neuen Baum setzen, wenn er da ist.
Trotzdem schade; des werd' ich nichtmehr erleben, dass der so groß und stattlich wird. Was werden sie wohl hinpflanzen? Bestimmt wieder irgendeinen Exoten der aufgrund seiner Unangepasstheit ans Klima irgendwann kaputt wird.
Die Flügelnuss ward 100 und hätte auf weiter Flur sicher älter werden können. Aber so ist das, im Stadtgrün.


Ich konnt' mich nicht mehr von dem Baum verabschieden, weil mir jemand Bescheid gesagt hatte, dass eine liebe Bekannte in der Nacht verstorben sei, und mich hob's erstmal aus den Angeln.
Sie vermisse ich wirklich!
Sie war so Anfang des Jahrtausends mal ein Jahr in Freiburg, kam auch aus meiner Gegend, war mal mit nem Kumpel zusammen, nur 2 Jahre jünger, und wir haben von Zeit zu Zeit Bierchen miteinander getrunken und Party gemacht. Wie schön war es damals, jemanden zu haben, der einen grundversteht, wie es einem bayrisch konditioniert hier so geht und das mit einem teilt. Sowas hab ich seitdem eigentlich nichtmehr.
Vielleicht erinnert sich noch jemand an eine bayrische Keramikerin, die in Buggingen gearbeitet hat und bei der Maria Hilf Kirche in einer WG gewohnt hat, so 2004.

Seit sie aber weggezogen war, wurde der Kontakt weniger, riß aber nie ganz ab.
Jetzt war sie in Berlin erfolgreich, hat Preise gewonnen für Keramik und Design, hat sich da seit 2 Jahren einen Namen gemacht, hatte einen hübschen Freund und war richtig am Durchstarten. Dann plötzlich trat ein angeborener innerer Organschaden zum Vorschein, von dem keiner was ahnte, und Tage später steh ich vor ihrem Sarg, wie vor dem Baumstamm.

Am gleichen Tag gestorben, viel zu jung, denkt man, wegen innerem Organdefekt, von dem keiner was wusste.

Man kann einen Baum nicht mit einem lebendigen Menschen vergleichen - aber schon zu spät. Die Emotionen sind halt unterschiedlich, die man ins Gegenüber emotioniert hat und so war ich schon wesentlich trauriger über den Verlust von Nicole als über den Baum.

Anderen geht es anders, wo sie Nicole nicht kannten, aber mit dem Baum schöne Stunden verbracht haben.

Nicole kannte den Baum wohl nicht.


Dann musste ich noch das Kind anschauen von dem, der mich von der Beerdigung chauffiert hatte.
Der kleine Ludwig-Oktavianus  (Ha, da hat er ihm eins mitgegeben für den Lebensweg!) ist jetzt 2 Monate alt und sieht halt so aus wie jedes Baby, das nicht das eigene ist, wahrscheinlich. Er macht das, was wahrscheinlich alle Babys in diesem Alter machen.
In 30 Jahren wird man aber sagen: "Das ist der Ludwig-Oktavianus! Unser Okti! Keiner ist so wie er und wenn er nicht mehr wäre, wäre es schade." So wie um den alten Baum und Nicole.
Komisch ist das schon, aber da sieht man mal wieder, wie sehr man selber Schöpfer seiner eigenen Welt ist - emotional, 3D und vita-dramaturgisch.

HIER noch ein Video vom Baum ab Minute 3.28

1 Kommentar:

  1. Es tröstet mich, einem Menschen zu "begegnen", dem das Schicksal der alten Bäume nicht egal ist, der auch traurig ist, wenn ein alter Baum gefällt werden muß. Die meisten nehmen es kaum wahr oder machen sich weiter keine Gedanken. Ich bin auch immer traurig, wenn ein alter Baum sterben muss. Dann tröstet es mich, wenn er wirklich krank war. Es ist auch traurig, einen zu jung verstorbenen Freund verabschieden zu müssen. Vielen Dank für diesen Beitrag und alles Gute.

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