Mittwoch, 14. Juni 2023

 Gestern frühs am Bahnhof Wiehre, 10min vor Abfahrt:

Sagt die Roboterstimme: "Zug fällt aus wegen einer Reparatur. Wir bitten um Ihr Verständnis"

*Seufz* 

Wieder die gleiche Kollegin angerufen, schnell zurück heim mit dem Fahrrad und mit der Kollegin auf Arbeit.


Heut früh im Zug: Handy daheim vergessen, wo hinten das Ticket drinsteckt. Auf den 15min zwischen Wiehre und Himmelreich kontrollieren sie eigentlich immer. Kommt die Kontrolleuse, sag ich: "Jobticket vergessen, hier mein Perso, kann ich das irgendwo vorzeigen?" winkt sie ab und wendet sich der jungen Frau mit den roten Zehennägeln jenseits des Ganges zu. Da ruckelt der Zug so, dass ihr ihr Glas Haferbrei runterfliegt und sich vor ihr auf den Boden ergießt und danach zu mir rollt. Sie zeigt ihr Ticket, Kontrolleuse geht weiter. Die Dame geht zur Toilette, wahrscheinlich um Handtuchpapier zu holen für die Sauerei, die aussah wie hingekotzt. Aber Nein, sie kommt ohne Aufputzmaterial zurück, setzt sich wieder hin und tut so, wie wenn nix wär.

Nach Feierabend stieg ich wieder in den Zug retours, kommt ein altbekannter Kontrolleur, der immer glaubt, witzig sein zu können. Sag ich: Jobticket vergessen, kann ich vorzeigen, hier Perso?
Sagt er: "Kein Problem, ich hab sie glaub ich schonmal geseh'n!", tippt den Perso in sein Handy und mit tragbarem Bluetoothdrucker stellt er mir einen langen Zettel aus. Innerhalb einer Woche kann ichs auch am Wiehrebahnhofschalter vorzeigen, sonst kostet's 60€. So kostets NUR 7€.

Da hätt ich mal lieber 4,40 für das Streckenticket gezahlt, denn er hatte kein Verständnis.

Montag, 5. Juni 2023

Rezension: "Paradiso"


 Schon lange nicht mehr hat mich ein Buch so verschlungen, und froh bin ich, dass es vorbei ist. Es ist so geil geschrieben, dass einem richtig schlecht wird.

Doch zuerst: Wie kam's?
Es war ein Tag voller Zufälle und Fügungen, an dem mich der Müßiggang auf den Weg zur Freiburger Mess' geführt hat. Um nicht mitten im Gewusel der Stadt umsteigenzumüssen, ritt ich meinen Drahtessel zum Stadttheater. Von dort fährt die Linie 4 direkt zur Messe.
10min Wartezeit auf diese Tram ließen mich in die Auslage dieses Antiquariats mit den Büchern schauen, hatte ich doch morgens erst das 2. Buch über die antroposophische Sichtweise auf Pflanzen ausgelesen. Es gab Kapazität für ein neues Buch.
In den 10min fand ich aber nichts, was meiner Freizeit würdig gewesen wäre. So stieg ich in die Bahn buchlos. Und als die Bahn beim Technischen Rathaus richtung Arbeitsamt abgebogen war, war wohl vor uns eine Krähe, heimlicher Herscher Freiburgs. Sie flog ab nach links vor mein Bahnfenster und verlor einen riesen Hirschkäfer!
Noch gar nie hatte ich diesen ungleichen Kampf zwischen Vogelwelt und dem heimlichen Herscher der heimischen Inektenwelt auf meinem Schirm. So unterbrach ich meine Fahrt und lief die ganze Etappe Robert-Koch-Str - Technisches Rathaus zurück und wieder zurück zur Robert-Koch-Straße, ohne den Ausgang des Duells zu lernen.
Auf der Messe war am Steine-Stand genau ein Stein, der mich angesprochen hatte, ein Entspannungsstein genau für mein Sternzeichen, wie ich später zu Hause gugeln konnte. Hab ihn 2 Tage später, bei einer längeren Fahrradtour um Holunderblüten, leider verloren.
Ich kam also mit dem Stein und allerlei Eindrücken wieder zum Fahrrad bei den Büchern und ein Gefühl, dass alles so sein muß, drängte mich, nochmal in den Bücherkisten zu suchen. Ganz links unten - wo auch sonst - dort wo ich schon zu anfangs geschaut hatte, seh ich Klupptoms "Paradiso": Ein Weidener Buch, von einem meiner Weidener, wie auch immer das da her kam, dann soll es so sein: 2€

So, oder so ähnlich ist das Buch auch geschrieben: in der Ich Erzählung, eine Aneinanderreihung skurriler Geschichten, die teilweise ineinander bezugsverwoben werden, nur mit seinen perversen Fantasien, dass man sich schämt ihn zu kennen. Dazu flechtet er krampfhaft Filmtitel und Lyriker und leicht veränderte Eigennamen ein, als würd's dafür Extracash geben.

Warum schreibt einer überhaupt ein Buch, wo es doch schon so viele gibt? Will er was Neues zeigen? Muß er was verarbeiten und braucht Rückmeldung? Dann Hier, Tom!
Ich-Erzählung macht man höchstens im Blog, im Tagebuch, im Reisebericht, oder in einem Brief. Aber genau das ist das eine Fesselnde, warum man weiterliest: man meint, er redet mit einem und erzählt es ganau Dir. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal, wenn überhaupt, eine Ich-Erzählung gelesen hab. Einer mit grundsätzlich schlechten Noten bei uns in der Klasse hatte mal vom Deutschlehrer einen Sechser im Aufsatz über unser schlimmstes Erlebnis bekommen, weil sein Titel war "Ich, Zeuge eines Unfalls". Der Lehrer hat gesagt, sowas könne man nicht schreiben.

Eine weitere Fessel ist das Bekannte, worüber er erzählt. Man wartet, das ganze Buch, ob er einen nicht mit eingebaut hat. Wie seine Familie, seine Komilitonen, seine Ex-Freundinnen, aber zum Glück kenn ich den Klupptom nicht soo gut und komme nicht drin vor, obwohl wir einige Parallelen und Überschneidungen auf unseren Wegen hatten. Aber er war aus dem entgegengesetzten Stadtteil und am anderen Gymnasium, doch waren wir beide zur gleichen Zeit dort literarisch aktiv und haben beim Adidas-Streetball gegeneinander gespielt. Aber er war schon immer komisch/anders, aber nicht so komisch wie seine Fantasien, die er als Romanheld auslebt. Sicherlich hat er Henry Miller gelesen, und ich hätte gute Lust, sein Buch nochmal neu zu schreiben, nur mit einem anständigen Held und Happy End. Weil es schade ist, für die kuriosen Geschichten, den achtsamen Beobachtungen und präzisen Verbalisierungen seiner Gefühle und Gedanken.

Konkret geht es in dem Buch um ein Road-Movie, das er erlebt, als er ungewollt durch Weiden muß und die Geister aus der Unterwelt nach ihm heischen. Und genauso ist Weiden, trotz aller Fantasie. Das kann sich niemand vorstellen, ausser er liest sein Buch.In meinem Blog hülle ich den Deckmantel des Anstands über die Fehler der Anderen. Die Leute waren vor 10 Jahren nicht begeistert, als das Buch raus kam, weil es ein noch schlechteres Bild auf die Szene wirft, als es war. Hauptsächlich geht's ja um den Ich-Erzähler, und so schlimm war der in real nicht.

Wenn man das Buch mit intensiv reflektierten und ausgeschmückten Selbstbeobachtungen liest und dann zuklappt und lebt, merkt man, wie man selbst die Realität anders erlebt, wenn man sich vorstellt, alles als Ich-Erzähler in einem Buch ausgeschmückt wiederzugeben: Es regnet halt; gut, wenn daheim das Fenster zu ist.
Man könnte aber auch sexuelle Wallungen durch die Feuchtigkeit auf der Haut entwickeln und sich von einem Geruch einnehmen lassen, wie in einem polnischen Puff, in dem man noch nie war. Dann hätte man viel zu hirnen, und dem Regen wär's scheißegal.
Man kann wirklich über jeden Trip nach Weiden so ein Buch schreiben, das einem andere nicht glauben. Ich hätt halt die Zeit nicht, obwohl in Freiburg vergleichsweise 5x weniger passiert.

Ich bin froh, dass das Buch vorbei ist, weil seine intensive Sichtweise, besonders die sexuell-bewertende Brille auf Frauen, so anstecken, dass ich mich jetzt in einem Umsonst-Bücherregal für ein Buch von einem Mönch entschieden hab, über den Umgang mit Zeit im Leben.






Appendix: Krähen fressen nur die Hinterleiber der Hirschkäfer und lassen das Geweih + ein zappelndes Beinpaar übrig.