Samstag, 26. Juli 2014

Der Mensch im Wald

Manche gehen immer wieder in den Wald.
Sie sammeln Essen, sie beschäftigen den Körper mit Bewegung, sie vermeiden, dass der Bello nicht in die Wohnung kackt, und im Wald sind die Bäume.
Was uns die Bäume so faszinierend macht, ist nicht nur, dass sie einzeln da stehen wie ein Mann, dem man das Leben und Leiden der Jahrzehnte ansieht, oder dass die alten und die jungen in einem ewigen Kreislauf abwechseln, es ist auch das Wesen der Bäume. Es ist ein stoisches Wesen, das scheinbar alles erträgt, ob ihn ein Ast abbricht oder ein Specht bescheißt, ohne sich Gedanken zu machen.
Ein Baum hat kein Hirn, würde ein Neurochirurg sagen.
Er steht halt so herum und schaut und macht sich keinerlei Gedanken.
Warum auch - er kann ja nicht weglaufen oder sich kratzen. Und trotzdem wird er älter.
Da wachst ein Baum auf und sein Nachbar ist voll blöd. Was will er machen? Nix kann er machen.
Es ist die Gedankenlosigkeit, um welche die Spaziergänger ihre hülzernen Gegenüber beneiden.
Die Menschen erleben sich als Personen. Als der Herr Sowieso oder die Frau Dr Irgendsonstwie, wie sie es gespiegelt bekommen, zwischen den Menschen. Erwartungshaltungen der Umwelt, Bedingungen aus vergangenen Ereignissen, ein sich ständig aktualisierendes Selbstkonzept. Reaktionszwang, Zielplanung, ... aber im Wald merkt er davon nichts ausser den Büro-Rücken oder das Handyklingeln.
Die Bäume stellen keine Bedingungen. Sie leben im Jetzt, haben die Vergangenheit hinter sich und die Zukunft ist noch nicht da.
Wenn es Winter wird, fallen die Blätter ab, also merken tut der Baum schon was.
Punkt ist, er macht sich halt keine Gedanken - er IST einfach.
Das chillt den Waldspaziergänger mit.
Gedanken sind egoistische Kriege, krampfhaft versuchend, im Diesseits eine Duftmarke zu hinterlassen.
Der Baum, wenn er verfault, ist dann einfach weg - reintegriert - immer noch Wald.
Diese höhere Eingebundenheit hat der Mensch nicht mehr, vor lauter Gedanken. Gern hätte er sie aber wieder, sonst würde er nicht immer wieder in den Wald gehen, wo er aus der speziellen Stimmung ahnt.
Wie Besucher eines Stadions stehen sie da und schauen zu.
Bemerkt der Mensch einen Menschen, macht er den Schubladenschrank auf: "Aha, rote Mütze!" " 2,10m!"  "Aha: Outdoor-Klamotten!, ... aha, so einer ist das!"
Schaut er den Baum an: "Aha eine Buche!" "Da hat er 2 Äste!"  "oben noch welche: 1 nach oben, 2 darüber dann sieht man sie nicht mehr, im Hintergrund zahllose kleine Blätter, die sich bewegen, ..." und wie der Mensch den konkreten Stamm nach oben blickt und seinen Blick zwischen den vielen Zweigen und Zwischenräumen verliert, so verlieren sich auch seine Gedanken aus der Konzepthascherei.
Das entspannt, wenn die Verhaftungen in Vergangenheit und Zukunft wegfallen. Sorgen, Ängste sind Gedanken auf der Zeitlinie. Im Jetzt ist nur bedingungsloses Gefühl.
Der Baum macht das immer, dass er nichts macht weil er nichts denkt. Er will nichts, muß nichts erreichen und ist so keine Bedrohung für den gedanklich Umtriebigen sondern sympatisch.

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