Dienstag, 18. Juli 2017

Damals G8

Hab festgestellt, daß ich hier noch gar nie darüber berichtet hab und jetzt kam vieles wieder hoch. Es war so:
Ich war damals ein junger Student und hatte nicht viel Geld, mal rauszukommen aus Freiburg.
Komillitonen aus dem Vauban fragten mich, ob ich nicht mit ihnen mitkommen will, nach Genua/Italien.
GENUA!
Von dort brach doch der kleine Marco auf, sowie Kolumbus, wenn nicht Amerigo Vespucci! Es muß ein inspirierendes Stückchen Meer sein, was sie da haben.
Der Deal wäre: Freitag mit dem Bus runterfahren, im Bus pennen, Samstag in der Stadt zur freien Verfügung und nachts wieder heim, im Bus pennen, dann wäre man Sonntags schon wieder da, für 60 Mark - warum nicht?! Wie naiv!!
Die anderen wollten da noch auf eine Demo gehen, und Konzerte, sowas haben die hier öfters gemacht. Naja.

Im Bus wurd's dann schon komisch, weil da so einige Demo-Fans waren, die Tücher für vor-den-Mund binden hatten und sich mords cool damit vorkamen. *kopfschüttel

Die Grenzkontrollen haben bei der Rucksackkontrolle meinen Alkohol nicht konfisziert, weil ich ein "Langhoarader" war, ...schöne Landschaften, die man in der Nacht nicht sah, ... und irgendwann waren wir in Genua!

Ich bin dann erstmal mit den anderen auf der Demo mit. Einige aus unserem Bus waren jetzt schon so richtig heiß: "Ich schnapp mir den Chirac!" , "und ich kill den Bush!" , so Zeug musste ich mir anhören. *eyeroll

Die Demo war dann zunächst ganz normal, wie man sich so eine Demo vorstellt: Viele Leute, laute Rufe, alle marschieren in die gleich Richtung, Christen, Pfadfinder, alle möglichen Gruppen.
Schöne alte und hohe Häuser! ...
Dann war, als würde eine andere Demo von vorne fett im Sprint durch uns durchlaufen! Mann musste sich im Schatten einer Straßenlaterne festhalten, um nicht umgerannt zu werden.
Und dann gabs links und rechts an den Hauswänden wie so "Ordner". so Typen, die zur Menge hin armkreisende Bewegungen machten, damit wir mal cool machen sollten. Im Nu war wieder Frieden und unser Demozug ging weiter.

Es waren wohl die Herrscher der mächtigsten Nationen versammelt, um zu besprechen, wie sie's machten.
Einige der Demonstranten wollten den Stress, dort zu den Weltmächtigen in den abgegitterten Bereich einzudringen.
Mir wurd die Sache langsam auch schon zu eng. Superheiß war es.
Die Leute haben mit dem Gartenschlauch Wasser aus den Häusern auf die Demonstranten gespritzt, weil sie es gut fanden, daß wir demonstrierten - noch.
Alte Omas hatten uns von den Balkonen mit beiden Armen zugewunken, weil wir irgendwas mit "Genova" gerufen haben, was sie freute.
Die mochten ihren damaligen Regierungschef auch nicht, wars schon Berlusconi? Jedenfalls haben die ihm zum Ärger extra dreckige schäbige lange Unterhosen von den Fenstern rausgehängt, daß die Stadt nicht künstlich herausgeputzt wirkt, oderso.

Jedenfalls hab ich mich dann von den anderen verabschiedet, wollte ans Meer.
Wir haben einen Treffpunkt vereinbart, spätestens wann wo Abfahrt war, wusste ich.

In Genua gabs so Strassen-Pissoirs: die sehen von oben aus wie ein e, so 1,20m hoch aus Beton, da kann man als Mann einfach so pissen; besonders gut als Tourist.
Ansonsten ist Genua ziemlich zugebaut, die Häuser sind aus hellem Stein. wenig Bäume.
Ich orientierte mich an Straßenschildern, und entweder mit meinem Latein oder gab es englische "harbour"-Schilder? Jedenfalls ging ich 7km zu Fuß an der Hauptstraße richtung Meer und es war heiß.
Wenig Menschen so unterwegs.

Ich hab natürlich auch mal Pause gemacht, und einmal sind 16 Lastagen voll mit Polizisten mit Schlagstöcken, Helmen, Schildern und Kriegsbemalung an mir vorbeigefahren richtung Innenstadt und haben mir Sachen zugerufen und gedroht! Zum Glück kann ich kein italienisch.
 Da werden die auf der Demo ihren Spaß haben mit denen!
weiter die Straße, irgendwann konnte ich das Meer sehen: es war blau!
Davor war ein Gitter, das bin ich entlang, weil ein jedes Gitter fangt irgendwo an. Ich kam zu einem Tor, da war ein italienischer Polizist und ging mich harsch an in seiner Sprache. Aber er konnte auch Englisch und war dann ganz freundlich, nur hat er mir sehr bestimmt gesagt, daß da für mich heute kein Meer ist.
So musste ich umkehren und hab mir noch bißchen die Stadt angeschaut.
Es gibt da Treppen, hoch zu alten Kirchen, ... in der Innenstadt ging's ganz schön ab, sah man von außen. War es der Hunger oder die Langeweile, die mich vorsichtig wieder näher ans Geschehen trieb?

In einer Parallelstraße lief plötzlich eine Demo ganz schnell. Sie liefen davon. Ganz hinten die Dicken, die mit den großen Rucksäcken und die Ungeschickten und keine 3 Meter dahinter fährt der Wasserwerfer. So schnell waren die, wenn da einer seinen Rucksack verlöre und einer darüberstolperte, gäbs Matsch! Die waren zu schnell als dass einer hätte Hacken schlagen können, meine Güte.
Und plötzlich brannten mir die Augen, daß ich nichts mehr sehen konnte, blind lief ich rückwärts bis es wieder ging, und davon. Das musste wohl dieses Tränengas sein. Unangenehm brannte es vielleicht auch in der eh schon trockenen Lunge.

In der Stadt war Krieg.

Leute fuhren mit dem Roller durch eingeschlagene Kaufladenscheiben, nahmen die Kasse und was sie tragen konnten und fuhren weiter.
Es war Gestank, den die 80jährigen Anwohner sicher nicht mochten.


Eine Tankstelle war größtenteils verbrannt. In den Trümmern Leute, die ein halbverkohltes Fotoalbum mit Erinnerungen durchblätterten.
Verbrannte Autos! Von einem war nichts mehr heil außer diesem braunen Bärle
Des war des Bärle, ich hab's heut noch.

Dann kam ein Journalist, der mich mit Hand und Füßen motivierte, ich sollte des Bärle mit beiden Händen würgen über einer Tonne aus der noch Material herrausrauchte. Dann hat er viele Fotos davon geschossen. Kennt wer das Foto?



Überhaupt: es gab auf der Demo Demonstranten mit Transparenten undso, Soldaten mit Schildern und Rüstung, und viele Radikale, die teilweise vermummt richtig kämpften, indem sie zB Steine warfen. Anteilsmäßig waren es genausoviele Journalisten, wie Kämpfer.  Schon auch Christen und Pfadfinder, aber wer von aller kampfbereiten Gemeinschaft, die mir bekannt war, gefehlt hatte, das waren zumindest aus Deutschland: die Hooligans aka Fußballfans und Punker.
Von allem, was ich an autonomen Protest erwartet hätte, waren wir scheinbar der einzige deutsche Bus, der durchgekommen ist, wie ich später erfahren hatte. Was wäre möglich gewesen, wenn alle deutschen Radikalen da gewesen wären, haben wir in Hamburg gesehen.

Eine Episode war noch: Eine Unerführung
Durch die Unterführung versuchten Polizisten/Soldaten mit Helm und Schildern durchzukommen. Diesseitig waren Ninjas mit Einkaufswägen voll Pflastersteinen, die die den Bösen entgegenwarfen.
Vor der Unterführung war eine hellblaue Renault-Ente auf dem Dach gelegen und brannte!
Wenn ein Auto brennt, na raucht es arg, eine gewisse Zeit lang, Wenn das Feuer dann den Motor errreicht, na zündet es quasi und dem Auto  sein Motor geht dann an, als wie wenn es fährt. Eine fette 1-Meter-Stichflamme kam vom Auspuff raus und wenn die Reifen explodieren, knallt es nochmal.

Ich hätte einen Kopfsteinpflasterstein in der Hand gehabt und einmal wahrscheinlich ungestraft auf einen Bullen werfen können, ich hatte ihn schon in der Hand deswegen. Aber ich kenn Bullen privat und da sind sie relativ normal, haben Familie, drinken zB gerne Whiskey und schauen sich Action-DVD-Filme an, auch mit mir. Wenn ich mir denk, daß der Werner. da gegenüber stünde, weil er muß, weil sie ihn damals von der Realschule weggelockt haben mit der Aussicht auf viel Sport in der Ausbildung und nem guten Gehalt und der Befreiung von Bundeswehr, ... manchmal kommen Leute zur Polizei, des wären eigentlich ganz normale Menschen. So hab ich den Pflasterstein nicht geworfen.
Nicht auch, wenn ich doch mal in der Politik lande, und dann kommt einer mit so einem verwerflichen Foto.
Aber ich hätte können.

Noch eine Episode: Ich geh da so die Straße entlang in Italien, (1), da kamen von unten her: der Demonstrationszug: vorne vor allem Clowns, die zu Musik alberten und rumkasperten.
Sie wollten eigentlich von unten unter den Bahnschienen durch nach rechts weitergehen. Aber links formierten sich Cops (2).
Zuerst ein paar, dann viele, und der Demonstrationszug, der eigentlich nach rechts wollte, schenkte dem zunächst wenig Beachtung.
Dann wurden es aber immer mehr Cops in der Formation, mit Schildern, Helmen und Knüppeln. Hinter ihnen kamen fette gepanzerte Fahrzeuge, wahrscheinlich Wasserwerfer.
Die Bullen begannen, im Takt mit den Knüppeln auf ihre Schilder zu schlagen, wie ein testosteroner Gorilla, und rückten schrittweise vor.
Von den Leuten, die herumstanden, kam ein Journalist, und setzte sich mit seinem Fotoapperat zwischen die Bullen und die Demonstranten (3).
Dann kamen 2 Cops aus der Formation heraus auf ihn zu und sprayten ihm Säure direkt aus der Nähe ins Gesicht.
Klar, dass dann paar Weltverbesserer zu ihn sind, zum retten, und los ging die Knüppelei.
Ich hab das noch nie gesehen vorher, dass Bullen von sich selber aus Streit anfangen, aber diese da unterm Helm, die waren sowas von am provozieren, ein Wunder insgesamt, dass nur einer bei den Tumulten ums Leben kam: Ein Demofreak wohl auch, der überfahren wurde, als sie 2 Bullen im Auto eingekesselt hatten und mit Feuerlöscher auf die los sind und der Fahrer-Bulle Panik bekommen hatte.

Ich hab auch noch irgendwo eine Tränengas-Patrone: so eine kleine graue flache zylindrische Kapsel, die sie aus sehr tief fliegenden Hubschaubern geschossen haben, sobald sie so einen wie mich von oben ausgemacht hatten. Man musste sich unter Brücken verstecken, wenn man Hubschrauber hörte.
Ich war tatsächlich jahre lang traumatisiert von Hubschraubern nachdem.


Ich bin irgendwie wieder zurück nach Freiburg gekommen. Hab noch das Manu Chao-Konzert umsonst versäumt, weil ich da wahrscheinlich nicht mehr reinwollte in den Krieg.
Auf dem Heimweg sind die Veranstalter im Bus nochmal herumgegangen mit nem Hut, wei sie sich mit den 60 Mark verkalkuliert hatten, und wollten nochmal 20 Mark von jedem - wo ich doch nicht mal zum Meer konnte!
Der Busfahrer war auch sauer: ihm hatten sie nur gesagt, wir fahren nach Norditalien.

Geschockt die nächsten Tage, hab ich mir sofort daheim die Tagesschau angesehen, ob man mich sieht, und die öffentlich rechtlichen Medien berichteten damals nur: G8: sie haben beschlossen eigentlich nichts, und am Rande kam es zu Protesten.

! ! !

Da hab ich den Glauben an eine wahrhaftige Berichterstattung durch die öffentlich Rechtlichen verloren.
Keiner hat's gesehen, nur ich, und die sagen "Proteste am Rande"!

Für mich war das alles eine nachhaltige Kriegserfahrung.
Ich war seitdem auf keiner Demo mehr, außer kurz auf der CSD-Demo wegen dem Reggae-Wagen, wie ihr vielleicht vor kurzem hier gelesen habt.
Das alles kam jetzt hoch bei Hamburg, nur gibt es heute Internet, sodaß man nicht alles totschweigen kann.
Sollen die sich doch treffen in Titisee oder Sansibar, aber Hamburg ist echt dumm.
So einen Respekt haben die vor Bevölkerung! Der normale Otto will doch nix zu tun haben mit Politik. Sein Auto angezunden braucht er auch nicht.
Die Unzufriedenheit, die einige haben, die ist da.
Irgendwann werden die Bullen die nicht mehr aufhalten können.
Sollte nicht mitten zwischen die Leute sein, wo sich das entlädt, aber Politik und Bürger - das sind mittlerweile Welten und das ist falsch, das prangere ich an.

Wenn man den Propheten glauben mag, geht die Revolution von Deutschland aus.

Jedenfalls war Genua sehr krass. Hamburg hat mein Mitgefühl. Helfen tut's niemandem, aber es zeigt was. Nun weiter zum Alltag, aber wachsam!

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